Kolumne von Thomas Rausch

Ein Krieg ums Öl. Wer wird gewinnen?

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

führende OPEC-Länder, vor allem Saudi-Arabien, haben sich in der vergangenen Woche gegen eine Reduzierung der Fördermengen für Öl ausgesprochen. Das war eine Überraschung. Offenbar nicht nur für mich, sondern auch für den Markt, denn seither ist der Ölpreis nochmals rasant eingebrochen.

Quelle: Zerohedge

Ich halte an meiner Grundthese fest: Der Ölpreis ist seit Anfang September – so wie die meisten Rohstoffpreise – eingebrochen, weil der US-Dollar-Index ein Kaufsignal generiert hatte. Aber durch die Entscheidung der OPEC-Länder kommt nun ein neuer, sehr gewichtiger Faktor ins Spiel.

Es ist ausgesprochen schwer zu bestimmen, aus welchen Motiven heraus Saudi-Arabien einen weiteren Ölpreisverfall sogar zu forcieren scheint. Schauen wir uns einmal an, wer davon perspektivisch profitieren wird und wer darunter leidet.

Auf den ersten Blick scheinen wir alle als Konsumenten von billigeren Energiepreisen zu profitieren. Geld, das wir nicht zum Tanken oder Heizen ausgeben müssen, können wir in den Konsum stecken und damit die Wirtschaft ankurbeln. Ist die OPEC-Entscheidung ein verdecktes globales Konjunkturprogramm? Die Citibank hatte schon im Oktober ausgerechnet, dass der Preisrückgang von Brent auf ca. US$84 auf ein Jahr hochgerechnet den Effekt eines US$1,1 Billionen schweren Konjunkturstimulus hat.

Der Zeitpunkt für ein Konjunkturprogramm wäre günstig gewählt, denn die Angst vor einer Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums nehmen zu. Im selben Augenblick stellt der Präsident der Europäischen Kommission ein 300 Mrd. Euro schweres Investitionsprogramm vor, senkt die chinesische Zentralbank den Leitzins, um den Banken die Vergabe neuer Kredite zu erleichtern, weitet die Bank of Japan ihre irrsinnigen Interventionen aus, setzt Abe die geplante weitere Mehrwertsteuererhöhung aus und bereitet die EZB den Ankauf von Staatsanleihen vor. Wirken alle diese Maßnahmen zusammen, könnten sie sich gegenseitig verstärken und die Weltwirtschaft wieder anschieben. So möglicherweise der Plan.

Auf der anderen Seite aber leiden jene Staaten, die einen hohen Ölpreis benötigen, um sich zu finanzieren. Hierzu zählen z.B. Russland, Venezuela und Iran. Saudi Arabien freut sich, wenn es Iran schlecht geht, die USA, die mittlerweile zweitgrößte Ölmacht der Welt, freut sich, wenn es Russland schlecht geht. Insofern hätte ein niedriger Ölpreis für die größten Ölplayer der Welt auch politische Vorteile.

Sind sich also die USA und Saudi-Arabien einig? Das ist schwer zu sagen. Wollen die Saudis den US-Frackingboom beenden. Kann sein. Aber hätten sie nicht Strafmaßnahmen der USA zu fürchten?

Saudi-Arabien hat gewaltige finanzielle Ressourcen, um seinen Staat auch bei temporär niedrigen Ölpreisen weiter zu finanzieren. Die USA suche händeringend nach dauerhaftem Wirtschaftswachstum. Dieses Wachstum beruht zu 70 Prozent auf dem Konsum der privaten Haushalte. Diese profitieren vom billigen Öl. Auf der anderen Seite ist aber der Fracking-Boom gefährdet, denn die Produktionskosten sind mit US$60 bis US$80 sehr viel höher als in den meisten Golfstaaten. Ist der Fracking-Boom gefährdet, gehen nicht nur gut bezahlte Jobs verloren, sondern – und das ist aus Sicht der Politik sehr viel wichtiger – die Unabhängigkeit vom Öl!

Wenn es richtig ist, dass diese neu errungene Unabhängigkeit von hohem nationalen Interesse ist, dann folgt daraus m.E. nur eines: Staatliche Interventionen zugunsten der Fracking-Industrie. Die US-Regierung könnte einen Fracking-Soli einführen, mit dem z.B. die Infrastruktur staatlich subventioniert wird. Dadurch würden die All-in-Kosten der Produzenten sinken und sie wären auch bei niedrigerem Ölpreisen profitabel.

Der Fracking-Boom ist auf kontinuierliche Kapitalströme angewiesen. Sehr viele Produzenten finanzieren sich über hochverzinsliche Bonds. Sie sind darauf angewiesen, diese hohen Zinsen über den aus der Produktion generierten Cashflow zu refinanzieren. Würden jetzt Unternehmen durch den Preisverfall beim Öl reihenweise Pleite gehen, könnte es in diesem Bond-Segment zur Kettenreaktion kommen und die gesamte Fracking-Branche in den Abgrund reißen.

Die US-Regierung hätte also zwei triftige Gründe zu intervenieren: einmal, um ihre energiepolitische Unabhängigkeit zu sichern und zum anderen, um die Stabilität der Finanzmärkte zu garantieren. Die US-Regierung hätte die Möglichkeit, den Junkbond-Markt und damit die Unternehmen zu stützen.

Wie sagte der saudi-arabische Ölminister am Donnerstag so schön: Der Markt soll entscheiden, wie weit der Ölpreis fällt. Der Markt, das ist dank der Notenbanken nicht mehr Angebot und Nachfrage, das ist der Futuremarkt, das sind die kurzfristig orientierten Spekulanten. Die wissen, die OPEC und vielleicht auch die USA wollen einen niedrigeren Ölpreis. Also gehen sie short und prügeln den Preis weiter nach unten. Wie weit nach unten? Als Spekulant würde ich davon ausgehen, dass der Ölpreisverfall nur temporär sein wird. Das nächste OPEC-Treffen ist in ca. sechs Monaten. Entweder brummt dann die Weltkonjunktur wieder und die Ölnachfrage steigt, oder die OPEC dreht den Ölhahn zu. Keine der Parteien dürfte ein Interesse daran haben, den Ölpreis bis auf US$30 abstürzen zu lassen, weil dann die Kosten die Nutzen übersteigen würde. Als Spekulant würde ich mich deshalb am Chart orientieren. Mit temporaren Preisen irgendwo zwischen US$68 und US$60 könnten sowohl die USA als auch Saudi-Arabien für eine gewisse Zeit leben und gleichzeitig ihren politischen Gegnern, Russland und Iran, schaden. Lachender Dritter wäre China, das sich weiter Ölvorräte zu künstlichen Dumpingpreisen anlegt, und wir Verbraucher.

Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass der Preis für Brent noch bis in den Bereich von US$60 zurückgeht, sich dann aber rapide bis ca. US$80 erholt und in diesem Bereich in den nächsten Monaten pendelt. Das wird sehr, sehr spannend, denn es könnte sein, dass Sie als Aktionär den scheinbaren Ölkrieg gewinnen werden!

Ihr Thomas Rausch

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.