Kolumne von Thomas Rausch

Wie lange geht der Krug noch zum Brunnen?

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

bearische Kommentatoren betonen, dass der S&P 500 in diesem Jahr nur um neun Prozent gestiegen sei. Jeden Rücksetzer halten Sie für den Beginn der großen Korrektur. Und im Moment, da der Leitindex schon seit fast drei Wochen um die magische Marke bei 2.000 Punkten pendelt, glauben manche Charttechniker eine Topbildung ausmachen zu können.

Ich bin definitiv nicht in das Bullenlager gewechselt. Aber ich muss gestehen, dass die Stärke der Aktienmärkte enorm ist. Deshalb setze ich mit meinem Tradingdepot immer nur auf kurzfristige Abschwünge, niemals auf die Große Korektur. Aber die wird kommen.

Der Währungskrieg eskaliert

Der globale Währungskrieg eskaliert. Russland und China forcieren die Ablösung vom US-Dollars und horten Gold im großen Stil. Gleichzeitig vernichtet die Bank of Japan den Wert des Yen, der gegenüber dem US-Dollar ein Sechsjahrestief erreicht hat. In den Währungskrieg ist nun auch offiziell die EZB eingetreten und wertet die zweitgrößte Reservewährung der Welt kontinuierlich ab. Auf der anderen Seite steigt und steigt der US-Dollar. Wie lange wird das Fed die Aufwertung dulden? Doch die Anleger sind euphorisch.

Schottland als Lunte am Pulverfass

Am Wochenende entscheiden die Bürgerinnen und Bürger Schottlands über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich. Ist dem Markt eigentlich klar, was es bedeutet, wenn sich eine Mehrheit der Schotten tatsächlich gegen das Britische Pfund, gegen den Euro und zunächst gegen die EU entscheidet? Man stelle sich vor, das kleine Schottland würde erfolgreich eine eigene Währung einführen und seine wirtschaftliche Souveränität behaupten. Schottland wäre das Vorbild für alle Regionen in der EU, die nach Autonomie streben.

Katalonien will am 9. November 2014 ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region vom spanischen Zentralstaat abhalten. Auch das Baskenland hat sich bereits mit der spanischen Zentralregierung angelegt.

Brüssel ist der politische Nabel der EU. Doch Belgien könnte sich ebenfalls auflösen. Seit 2007 eskaliert der Streit zwischen den Flamen und Wallonen. Damals waren eine Umfrage zu Folge nur noch 49,6 Prozent der Flamen für einen Erhalt des belgischen Zentralstaates.

"Los von der Diebin Rom!" Das war im Italien der 1980er Jahre der Schlachtruf der politischen Ligen Norditaliens, die eine Abspaltung des reichen Norden vom Rest des Staates forderten. Seit 2013 regiert in den drei Industrieregionen Italiens die Lega Nord. Norditalien erwirtschaftet 70 Prozent des italienischen BIPs. Die Lega Nord will, dass mindestens 75 Prozent dieses Geldes auch in der Region verbleiben.

Und schließlich will England 2017 selbst durch einen Volksentscheid über den Verbleib in der EU abstimmen.

Die politische Ordnung der EU setzt auf Zentralismus und Umverteilung, doch die spontane Ordnung vieler Menschen setzt auf Subsidiarität, die Entfaltung individueller Fähigkeiten, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Die EU ist ein Pulverfass und Schottland ist die Lunte.

Wie stark ist die US-Wirtschaft tatsächlich?

Und schließlich mehren sich die Zweifel an der Nachhaltigkeit der Wirtschaftserholung in den USA. Die Arbeitsmarktdaten, die in der letzten Woche veröffentlicht wurden, waren überraschend schlecht. Im August 2014 wurden nur 142.000 neue Stellen außerhalb der Landwirtschaft geschaffen. Die Konsensschätzung ging von 230.000 neuen Jobs aus.

Ist es nicht bemerkenswert, wie sehr die Experteneinschätzungen wieder einmal daneben lagen? Können die nicht rechnen, oder liegt es an einer nicht validen Datenbasis, die regelmäßig zu eklatanten Fehlkalkulationen führt?

Aber waren die Aktienmärkte enttäuscht oer beunruhigt? Nein, sie jubelten, denn wenn sich die USA-Wirtschaft nach dem starken Rebound im zweiten Quartal jetzt wieder abkühlt, könnte die Zinswende in den USA später als zunächst gedacht eingeleitet werden. Aktien steigen also in jedem Fall: Entweder die Wirtschaftsleistung nimmt zu, oder die Zinsen bleiben niedrig.

Auf der Oberfläche, etwa dem Chart des S&P 500 oder den relativ niedrigen Renditen für US-Staatsanleihen, sieht es so aus, als wäre die Welt in Ordnung und als sei auf die Zentralplaner der Notenbanken Verlass.

Doch irgendwo in den tiefen Eingeweiden der Finanzmärkte, dort, wo man mit dem möglichst größten Kredithebel kurzfristig auf alle möglichen Assets spekuliert und hofft, die kurzfristigen Kredite, auf denen man gigantische Spekulationsgebäude aufgebaut hat, auch in der Zukunft billig refinanzieren zu können, dort hat sich ein bisher noch weitestgehend unsichtbarer Orkan zusammengebraut.

Wird die Unabhängigkeit Schottlands zu einem Sturm am Devisenmarkt führen, der auf andere Vermögenswerte übergreift? Wird irgendeine weitere verdeckte militärische Aktion in der Ukraine zu einer weiteren Eskalation führen, mit unabsehbaren Folgen für die europäische Wirtschaft? Oder befindet sich die US-Wirtschaft – so wie jedes Jahr seit 2009 – nach einer relativ starken Sommerphase bereits wieder auf dem Zenit, um sich bis zum Frühjahr 2015 – so wie in den vorherigen Jahren auch -, überraschen stark einzutrüben?

Ich weiß es nicht. Aber die Sorglosigkeit der institutionellen Anleger ist angesichts der vielfältigen und tiefgreifenden Probleme ein sehr großes Alarmsignal.

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.