Trafigura sieht "extremes Überangebot" auf den Ölmarkt zukommen
Der Rohstoffhändler Trafigura warnt vor einem "extremen Überangebot" auf dem Rohölmarkt im kommenden Jahr. Ein plötzlicher Anstieg des Angebots treffe auf eine schwache Weltwirtschaft mit geringer Absorptionsfähigkeit.
Trafigura Chefökonom Saad Rahim wies am Dienstag im Rahmen der Veröffentlichung der Jahresergebnisse des Unternehmens auf neue Bohrprojekte unter anderem in Brasilien und Guyana hin. Gleichzeitig werde die Nachfrage beim größten Verbraucher China unter anderem aufgrund des Ausbaus der Elektromobilität langsamer wachsen. In diesem Jahr hat China Käufe am Rohölmarkt zur Auffüllung seiner strategischen Reserven genutzt.
Der Ölpreis der Nordseesorte Brent steuert auf das schwächste Jahr seit 2020 zu. Im Juni 2022 hatte der Preis mit knapp über 123 USD pro Barrel ein Hoch markiert. Seitdem geht es ohne größere Gegenreaktion abwärts. Aktuell liegt der Preis bei knapp 62 USD.
Trotz Exportunterbrechungen will sich keine Risikoprämie einstellen
Für die Prognose von Rahim spricht, dass der Ölmarkt mit mehreren angebotsseitigen Risiken konfrontiert ist, die bei den Marktteilnehmern offenbar keinerlei Beunruhigung hervorrufen. Exporte aus dem Südsudan sind unterbrochen, ukrainische Drohnenangriffe am Schwarzen Meer betreffen russische und kasachische Lieferungen.
Sudans paramilitärische Rapid Support Forces haben das wichtigste Ölfeld und die wichtigsten Pipelineanlagen des Landes erobert. Dadurch werden die Rohölexporte aus dem Nachbarland Südsudan unterbrochen. Das Ölfeld Heglig produzierte im letzten Jahr etwa 60.000 Barrel pro Tag. Heglig ist zudem ein zentraler Knotenpunkt für Pipelines, die den Großteil der südsudanesischen Ölproduktion zum Roten Meer transportieren.
Die russische Ölindustrie gerät durch ukrainische Drohnenangriffe stärker unter Druck. Bislang konnten die Raffinerien einen starken Rückgang der Kraftstoffproduktion durch die Nutzung freier Kapazitäten zur Kompensation der durch die Angriffe entstandenen Schäden abwenden, wie Reuters Mitte November berichtete. Doch die Lage spitzt sich zu: Reuters zitiert Quellen, denen zufolge die Ölexporte aus den russischen Schwarzmeerhäfen Noworossijsk und Caspian Pipeline Consortium (CPC)-Terminal im November um rund eine Million Tonnen hinter dem Plan zurückgeblieben seien – auch aufgrund der Drohnenangriffe.
Lieferungen am Schwarzen und am Roten Meer durch Krieg betroffen
Die Drohnenangriffe wirken sich auch auf kasachische Lieferungen aus, die über ein Exportterminal am russischen Schwarzen Meer verladen werden. Aufgrund der Drohnenangriffe leitet das Land nun einen Teil des Öls aus seinem riesigen Ölfeld Kaschagan nach China um. Das Kaschagan-Ölfeld im nördlichen Kaspischen Meer zählt zu den weltweit größten Ölfunden der letzten 50 Jahre und verfügt über rund 35 Milliarden Barrel Öl, wovon rund die Hälfte als förderbar gilt.
Dass die Ölpreise trotz dieser realen Auswirkungen auf das Angebot und der weiterhin bestehenden beträchtlichen geopolitischen Konfliktrisiken nicht höher liegen, spricht für ein strukturelles Überangebot am Markt. Kurzfristig deutlich steigende Ölpreise scheinen derzeit nur bei weiteren Eskalationen denkbar.
Venezuelas Ölreserven könnten den Preis weiter drücken
Eine US-Intervention in Venezuela etwa würde einen sofortigen Anstieg der Ölpreise auslösen. Dieser wäre allerdings nur vorübergehend: Venezuela verfügt zwar über die größten Ölreserven der Welt, förderte zuletzt jedoch nur knapp 1 Mio. Barrel pro Tag. Sollte es zu einem durch Washington erzwungenen Regime Change kommen, dürfte das Angebot auf dem Ölmarkt mittelfristig sogar noch deutlich zunehmen.
Der Großteil der 300 Mrd. Barrel umfassenden Reserven besteht aus Schweröl, für das die Raffinerien an der US-Golfküste ausgelegt sind. Nach einem Regime Change könnten US-Firmen auf die Ölfelder Venezuelas zurückkehren. Gleichzeitig könnten die Sanktionen gegen das Land enden und eine deutlich größere Menge auf dem Weltmarkt landen.