EU sucht Wege zur Sicherheit im Wettlauf um kritische Metalle
Die Europäische Union will bis Ende des Jahres konkrete Vorschläge zum Aufbau gemeinsamer Rohstoffreserven vorlegen. Hintergrund sind zunehmende Spannungen mit China, das den Export seltener Erden und anderer strategischer Metalle eingeschränkt hat. Laut der Financial Times und dem Spiegel plant die EU-Kommission ein neues Programm unter dem Titel "RESourceEU", das den Zugang zu kritischen Mineralien für Industrie und Verteidigung sichern soll.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sprach in Berlin von einer "neuen Phase der Rohstoffpolitik". Ziel sei es, die europäische Industrie durch gemeinsame Beschaffung, Bevorratung und Investitionen in strategische Projekte unabhängiger zu machen. "Eine Krise in der Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist kein fernes Risiko mehr", sagte von der Leyen vor EU-Abgeordneten.
Europa will eigene Lager für Schlüsselrohstoffe aufbauen
Brüssel plant die Einrichtung eines "Zentrums für kritische Rohstoffe", das künftig Daten zu Angebot, Nachfrage und Lagerbeständen erheben sowie koordinierte Ankäufe organisieren soll. Damit will die EU verhindern, dass die Versorgung mit Materialien wie Lithium, Kobalt, Gallium oder Graphit erneut zum geopolitischen Risiko wird. Diese Stoffe sind essenziell für Rüstungsgüter wie Präzisionsraketen und Radarsysteme, aber auch für grüne Technologien wie Windturbinen und Elektromotoren.
Mehrere Mitgliedstaaten haben bereits nationale Initiativen gestartet. Deutschland will über die Förderbank KfW rund 1 Mrd. EUR in Rohstoffe investieren, Frankreich hat ein 500 Mio. EUR starkes Beteiligungsprogramm aufgelegt. Nach Einschätzung von Analysten soll die EU-Strategie auch private Investitionen in europäische Bergbau- und Verarbeitungsprojekte anstoßen.
Konkurrenz zu den USA und Abhängigkeit von China
Die USA haben ihre Lagerbestände strategischer Metalle bereits mit einem Kaufprogramm von 1 Mrd. USD ausgebaut. Europa muss dagegen noch Strukturen schaffen. China dominiert derzeit 80 bis 90 % des weltweiten Angebots an kritischen Mineralien. "Diese Abhängigkeit birgt erhebliche Risiken für Industrie und Verteidigung", sagte Albéric Mongrenier vom Thinktank European Initiative for Energy Security der Financial Times.
EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič sprach mit Chinas Handelsminister Wang Wentao über die neuen Exportbeschränkungen. Die Kommission schließt handelspolitische Gegenmaßnahmen nicht aus, müsste diese aber mit den Mitgliedstaaten abstimmen. Laut von der Leyen will Brüssel parallel verstärkt Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern wie Australien, Kanada, Chile und Kasachstan aufbauen.
Praktische und wirtschaftliche Hürden bleiben groß
Fachleute warnen, dass der Aufbau eines europäischen Rohstofflagers komplex ist. Die Metalle unterscheiden sich stark in Lagerfähigkeit, Marktvolumen und strategischem Wert. Lithiumhydroxid etwa hat nur eine begrenzte Haltbarkeit von rund sechs Monaten, wie Paul Lusty vom Marktforschungsunternehmen Fastmarkets betonte. Auch die Frage, wer im Krisenfall über die Freigabe der Bestände entscheidet, ist ungeklärt.
Einige EU-Staaten orientieren sich am japanischen Modell, das seit 1983 strategische Reserven hält. Die Niederlande testen derzeit eine Pilotinitiative, bei der alle Materialien für den Bau neuer Marinefregatten kartiert werden sollen, um Abhängigkeiten frühzeitig zu erkennen. "Wir müssen jederzeit sagen können, dass wir ein vollständig einsatzfähiges Schiff besitzen", erklärte Allard Castelein, Sonderbeauftragter der niederländischen Regierung für Rohstofffragen.
EU sucht Balance zwischen Autonomie und globalem Handel
Während Brüssel auf Versorgungssicherheit drängt, bleibt die Gefahr einer neuen Blockbildung im Rohstoffhandel bestehen. Westliche Regierungen werten Chinas Maßnahmen als Reaktion auf US-Zölle. Die EU setzt auf einen Mittelweg zwischen strategischer Eigenständigkeit und Kooperation. "Kurzfristig arbeiten wir mit China an Lösungen", sagte von der Leyen, "aber wir sind bereit, alle Instrumente zu nutzen, falls nötig."
Analysten sehen in dem neuen Programm den Versuch, aus der Energiekrise der Jahre 2022-2023 zu lernen. Wie damals bei Erdgas soll auch bei Metallen künftig eine gemeinsame Beschaffung möglich werden. Doch bis eine europäische Rohstoffreserve tatsächlich existiert, dürfte es Jahre dauern – nicht zuletzt, weil viele Abbaustandorte und Raffinerien erst noch aufgebaut werden müssen.