"Volatilität erzeugt Volatilität": 2022 war ein historisches Jahr für Rohstoffe
Das abgelaufene Jahr 2022 war für alle Märkte turbulent. Besonders hoch her ging es jedoch bei Rohstoffen.
Ein Blick auf den Bloomberg Commodity Index zeigt die turbulente Entwicklung des Rohstoffsektors im Jahr 2022. Der Index startete mit ca. 99,5 Punkten ins neue Jahr – um dann bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs bereits um ca. 15 % zuzulegen.
Rohstoffpreise legten im Frühjahr um ein Drittel zu
Im Nachgang des Kriegsausbruchs kam es zu einem weiteren Anstieg bis auf rund 133 Zähler. Anschließend setzte eine leicht aufwärtsgerichtete Seitwärtsbewegung bis auf 136 Punkte ein, der eine deutliche Korrektur bis auf rund 110 Punkte folgte. Im zweiten Halbjahr war der breite Rohstoffmarkt von einer Seitwärtsbewegung mit abnehmender Volatilität gekennzeichnet.
Zu starken Preisbewegungen kam es sowohl bei Energie- und Agrarrohstoffen als auch bei Industriemetallen. Der Bloomberg Subindex für Energie etwa legte vom Jahresbeginn bis Anfang Juni um mehr als 100 % zu. Wenige Handelstage vor dem Jahresende notiert der Index noch immer rund ein Drittel über den Schlusskursen des Vorjahres.
Anders sieht es bei Industriemetallen aus. Hier schloss sich an einen moderaten Aufwärtstrend zum Jahresbeginn eine extreme, aber kurzlebige Rallye ab Ende Februar an. Nach 172 Punkten zum Jahreswechsel notierte der Bloomberg Subindex Anfang März bei 240 Punkten – um nach einer deutlichen Korrektur im zweiten Quartal mit einem leichten Minus ins neue Jahr zu gehen.
Der Subindex für Agrarrohstoffe durchlief ebenfalls eine starke Rallye, die bis Anfang März dauerte und dem Index bis dahin einen Gewinn von 26 % bescherte. An eine Seitwärtsbewegung schloss sich jedoch auch hier eine deutliche Korrektur an. Zum Jahresausklang liegt der Index gut 13 % über dem Niveau des letzten Jahreswechsels.
Volatilität und Marginanforderungen: Marktteilnehmer ziehen 129 Milliarden USD ab
Die starken Preisbewegungen an sich waren jedoch nicht das alleinige Merkmal eines besonderen Rohstoffjahres. Beispiellos ist, was hinter den Kulissen passierte. Su haben – so berichtet es die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf J.P. Morgan Chase – Investoren 129 Milliarden USD Liquidität aus den Rohstoffmärkten gezogen. Dabei konnte sich das Segment in den ersten beiden Monaten des Jahres noch über Nettozuflüsse freuen.
Die starken Preisbewegungen veranlassten Rohstoffbörsen und ihre Clearinghäuser, die Marginanforderungen zu erhöhen. Ein Großteil des Rohstoffhandels findet am Terminmarkt statt, wo Marktteilnehmer Sicherheiten hinterlegen müssen. Mehr Volatilität bedeutet mehr Margin und damit höhere Liquiditätsanforderungen.
So mussten Marktteilnehmer in diesem Jahr für US Öl Futures im Frontmonat bis zu 12.000 USD Margin einschießen. Ende Oktober lagen die Marginanforderungen bei WTI US Öl rund 50 % höher als ein Jahr zuvor – bei Brent Öl sogar um 60 % höher.
Gleichzeitig stiegen die Zinssätze deutlich, was die Kreditkosten der Marktteilnehmer erhöhte. Dadurch zogen sich viele Akteure aus dem Markt zurück – was wiederum zu einer einem Rückgang der Liquidität und einer weiter steigenden Volatilität und wiederum steigenden Marginanforderungen führte.
Händler wechseln zum Optionsmarkt
Bloomberg berichtet unter Berufung auf die Zahlen von J.P. Morgan, dass das Open Interest in US-Rohöl Futures so niedrig wie 2014 nicht mehr ist. Die Zahl der ausstehenden Kontakte auf dem europäischen Erdgasmarkt ist so niedrig wie seit rund vier Jahren nicht mehr. Für Chicagoer Weizen berichtet J.P. Morgan über ein Open Interest auf dem niedrigsten Stand seit 2008. Die Liquidität der LME Nickel Futures ist so niedrig wie seit rund acht Jahren nicht mehr.
Die Entwicklungen haben die Strategien der Marktteilnehmer verändert. Für viele ist der Optionsmarkt und nicht mehr der Futures Markt erste Wahl. Auf dem Optionsmarkt sind die Sicherheiten typischerweise geringer. Zu einzelnen Zeitpunkten im Jahr übertraf die Aktivität im Optionshandel sogar die im Futures Handel.
Rohstoffhändler sehen sich aufgrund der steigenden Volatilität wachsenden Risiken gegenüber. Die Trafigura Group etwa berichtete, dass das Value-at-Risk – die Kennzahl gibt an, wie auch der Verlust an einem normalen Handelstag ausfallen könnte – in den Monaten bis März auf durchschnittlich 244 Millionen USD und damit mehr als das Fünffache des Vorjahresdurchschnitts gestiegen sei. Goldman Sachs berichtete von einem Anstieg auf 63 Millionen USD und damit den höchsten Wert seit Beginn der internen Statistiken.
Bloomberg zitiert den Händler Ilia Bouchouev, demzufolge eine Rückkopplungsschleife vorliegt: "Volatilität erzeugt Volatilität". Dieser Grundsatz dürfte auch 2023 gelten. Die meisten großen Marktteilnehmer rechnen nicht mit einer nachhaltigen Beruhigung, solange der Krieg in der Ukraine nicht vorüber ist.
Wer nicht mit den Problemen der Terminhändler konfrontiert ist, konnte 2022 gut mit Rohstoffen verdienen. Goldman Sachs ging kurz vor Weihnachten davon aus, dass das Segment mit einem Gewinn von 23 % dieses Jahr als erfolgreichste Assetklasse abschließen wird. 2021 lagen die Gewinne bei 42 %. Für 2023 rechnet die Investmentbank mit 43 %. Benchmark ist hier der S&P GSCI TR.