Kolumne von Thomas Rausch

Vergessen Sie Angebot und Nachfrage

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

die Rallye des US Dollar läuft auf Hochtouren und drückt weiterhin die Preise für Erdöl und Gold. Neue Nahrung hat die Dollar-Rallye erhalten durch die Ankündigungen der EZB, ihre Bilanzsumme wieder auf das Niveau vom März 2012 aufblähen zu wollen. Das heißt, sie wird etwa 1 Billion neue Euros drucken. Da sie diese Geldsumme kurzfristig nicht über den Ankauf von ABS-Papieren drucken kann, weil der ABS-Markt der Euro-Zone dafür viel zu klein ist, kündigte Draghi an, notfalls auch noch weitere Maßnahmen zu ergreifen. Welche Maßnahmen das sein könnte, wollte er noch nicht verraten. Selbst einige seiner Ratskollegen können sich nur wundern, dass ihr Chef Maßnahmen in Aussicht stellt, die die EZB noch gar nicht beraten hat. Der Finanzmarkt kommt aber mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Draghi nicht davor zurückschrecken wird, Staatsanleihen im großen Stil aufzukaufen. Dieser Glaube drückt nicht nur die Zinsen, sondern auch den Euro und beflügelt damit den Dollar.

US Dollar Index 11.11.2014

So vernichten die Zentralplaner den Markt

Natürlich geht es bei allen Maßnahmen der EZB nicht in erster Linie um eine Stimulierung der Wirtschaft. Wohlstand entsteht nicht durch das Drucken von Geld. Wohlstand entsteht durch effiziente Arbeitsteilung, durch Innovationen, durch Investitionen, die sich aus zuvor erspartem Kapital speisen, durch dynamische Wirtschaftsstrukturen, die sich ohne Unterlass an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden, also an uns, orientieren und anpassen.

Der Markt, das sind nicht irgendwelche Vorstandsbosse oder Hedge Fonds, der Markt, das sind wir alle! Ein freier Markt funktioniert wie ein Vogelschwarm. Ändert ein Individuum seine Richtung, um auf eine Veränderung der Umwelt zu reagieren, folgen seine unmittelbaren Nachbarn spontan, bis sich die Richtungsänderung über den gesamten Schwarm ausbreitet. Der Ökonom Wilhelm Röpke, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, hat dieses Phänomen als geordnete Anarchie bezeichnet. Röpke beschreibt mit dem Staunen eines Philosophen die unendlich komplexen Mechanismen, das ungeheuer vielfältige Ineinandergreifen der verschiedensten Prozesse, die notwendig sind, um allein eine Stadt zu versorgen:

"Man stelle sich einmal das Problem der täglichen Versorgung einer Millionenstadt mit allen Gütern vor, deren ihre Bewohner zur Fristung, Verschönerung und Erheiterung des Lebens bedürfen: soundso viel Tonnen Mehl, Butter und Fleisch, soundso viel Kilometer Stoff, soundso viel Millionen Zigaretten (.), soundso viel Ballen Papier, soundso viel Bücher, Tassen, Schüsseln, Nägel und tausende andere Dinge müssen täglich beschafft werden, ohne dass an der einzelnen Ware Mangel oder Überfluss herrscht. Sie müssen stündlich, täglich, monatlich oder jährlich (.) in Menge und Qualität auf die Nachfrage der Millionenbevölkerung abgestimmt werden. (…) Wer aber sorgt für die Abstimmung und damit für den geordneten Ablauf des Prozesses? Niemand." (W. Röpke: Die Lehre von der Wirtschaft, 1937.)

Es gibt keinen Experten und keine Organisation, keinen Nobelpreisträger oder gar Politiker, der diese Prozesse in ihrer Komplexität auch nur annähernd verstehen oder gar mit einem bestimmten Ziel bewusst lenken könnte. Der Markt organisiert sich selbst. Sein wichtigster Kompass bei der Selbstorganisation sind die frei gebildeten Preise. Denn sie allein zeigen dem jeweiligen Individuum – Ihnen und mir und allen Produzenten und Dienstleistern – an, wo Überfluss oder Knappheit an Ressourcen und Gütern herrscht, wo sich Investitionen lohnen, oder wo man sein Kapital abziehen muss.

Doch Notenbanken und Politik verfolgen eigene, ideologische Ziele und stören so den natürlichen Wirtschaftsablauf. Je machtvoller sie ihre Ziele "zum Wohle der Menschen" verfolgt, desto massiver greift sie in das Marktgeschehen ein und wundert sich dann, dass der Markt anders reagiert, als man gedacht hatte. Das nennt die Politik dann Marktversagen. Die EZB nennt es Marktversagen und Irrational, wenn Unternehmen und Konsumenten Geld horten statt es auszugeben, weil eine große Unsicherheit über die Zukunft herrscht oder weil Kredite lieber getilgt als unendlich verlängert werden. Sie nennt es auch Marktversagen, wenn sie Geld in den Markt pumpt, die Zinsen unter ein Niveau senkt, das der Markt von sich aus bilden würde, und der Schwarm der Anleger dann in eine bestimmte Richtung gelenkt wird, in die er von sich aus niemals fliegen würde, und dort Spekulationsblasen entfacht.

Alles diese Maßnahmen, die den Kompass des Marktes, die freie Preisbildung, zerstören, führen dazu, dass sich die Strukturen des Marktes nicht an die Realität anpassen können. Notenbanken und Politik wollen die Anpassung nicht, denn sie fürchten, dass der Anpassungsprozess letztlich zur Vernichtung von Wohlstand führt und sie zukünftig nur noch Armut verwalten, die sie selbst verursacht haben, statt Reichtum, den die Menschen erwirtschaften, verteilen zu können.

Deshalb pumpen die Notenbanken immer neues Geld in das Finanzsystem und versuchen mit Hilfe der Politik die Kreditströme so zu lenken, dass Unternehmen damit ihre längst marode gewordenen Geschäftsmodelle so lange wie möglich aufrecht erhalten können, um Arbeitsplätze zu schaffen. Doch leider schaffen weder marode Geschäftsmodelle noch frisch gedrucktes Geld Wohlstand. Ganz im Gegenteil.

Wie lange steigt der Dollar noch?

Wir befinden uns in einer Phase, in der die Eingriffe der Notenbanken und der Politik in alle Märkte massiv zunehmen. Irgendwann wird sich das bitter rächen. Aber im Moment fühlt es sich aus der Sicht der Finanzmärkte sich so an, als hätten die Weltenlenker das Ruder fest in der Hand. Und das bedeutet: Die Preise hängen weniger von Angebot und Nachfrage der Realwirtschaft ab, sondern sehr viel mehr von rein spekulativen Erwägungen der Finanzmärkte.

Was uns jetzt kurzfristig als Anleger interessiert, ist die Frage, wer das Ruder fester in der Hand hält? Werden sich die EZB und die BoJ gegen das Fed durchsetzen können und ihre Währungen gegenüber dem US-Dollar weiter abwerten? Oder kommt jetzt der Zeitpunkt, an dem die amerikanische Notenbank gegensteuern wird?

Wie denken darüber die Spekulanten am Gold- und Rohölmarkt? Sicher, die Entwicklung des Goldpreises und vor allem der Goldminenaktien war in der letzten Woche furchtbar. Aber als am Freitag US-Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden, die schlechter als erwartet waren, schoss der Goldpreis um 3 Prozent nach oben, während die Aktienkurse der Goldminen regelrecht explodierten. Offenbar wetten die Spekulanten auf eine Verzögerung der Zinswende und damit auf eine Abschwächung des US-Dollar. An der Wucht dieser Bewegung sehen Sie, dass es grundsätzlich ein sehr großes spekulatives Interesse an Gold und Goldminenaktien gibt. Dass die Preise gestern aber wieder zusammengebrochen sind, zeigt auch, dass große Unsicherheit über das richtige Timing für den erneuten Einstieg herrscht. Der Analyst MacNeil Curry, der bei der Bank of America den US-Dollar, US-Staatsanleihen und Rohstoffe analysiert, glaubt allerdings, dass der Goldmarkt kurz davor steht, in den Bullenmarkt überzugehen.

Spot Gold 11.11.2014

Ähnliches gilt auch für den Rohölpreis. Zeitweilig notierte Brent gestern deutlich im Plus, um dann deutlich im Minus aus dem Handel zu gehen. Wird der Ölpreis weiter kollabieren? Harold Hamm, der CEO von Continental Resources, einem der größeren Player auf dem amerikanischen Ölmarkt, glaubt offenbar, dass der Ölpreis schon bald wieder steigen wird. Deshalb hat er fast sämtliche Hedgepositionen bzw. Versicherungen gegen einen fallenden Ölpreis aufgelöst. "Wir erwarten, durch dieses Vorgehen im vollen Umfang von einer Erholung des Ölpreises profitieren zu können." Er argumentiert allerdings nicht mit einem fallenden Dollar, sondern mit einer Förderbeschränkung der OPEC-Länder.

Brent 11.11.2014

Ich denke, aus rein charttechnischer Sicht hat der US-Dollarindex noch das Potenzial bis auf ca. 92 Punkte. Von diesem Widerstand ist er noch ca. 4 Prozent entfernt. Gegenwärtig haben die Spekulanten den Eindruck, die Wette auf einen weiter steigenden Dollar ist todsicher. Entsprechend hoch ist das Enttäuschungspotenzial beim Dollar auf der einen Seite und damit das Rallyepotenzial bei Gold, Silber und Rohöl auf der anderen Seite.

Ihr Thomas Rausch

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.