Japan – Land der untergehenden Sonne?

Gestern Abend war ich mit einem japanischen Geschäftsfreund unterwegs und hatte die Gelegenheit, mir die Situation in Japan mehr als ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben, dem Tsunami und der Reaktor-Katastrophe von Fukushima aus Sicht eines Einheimischen schildern zu lassen. Mehr als ein Jahr nach dem Reaktorunglück von Fukushima wurde inzwischen auch das letzte der 50 japanischen Atomkraftwerke heruntergefahren und vom Netz genommen. Wie schaffen es die Japaner, den Ausfall von ca. 40 Gigawatt an elektrischer Energieerzeugung zu kompensieren? Anders als Deutschland, das im Zweifelsfall seinen Strom aus Frankreich, Tschechien oder Österreich importieren kann, fällt diese Option aufgrund der Insellage in Japan quasi komplett aus. Regenerative Energien, wie Wind-, Solar- oder Wasserkraftwerke spielen nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn sich hier in der Bevölkerung eine klare Tendenz zum Umdenken bemerken lässt.

Die aktuelle Energieversorgung wird aber durch Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke sichergestellt, wobei sich der Ausfall der Atommeiler nicht komplett kompensieren lässt und weiterhin ein Schwerpunkt auf dem Einsparen von Energie liegt. Diese Einsparungen führen jedoch auch dazu, dass die japanische Wirtschaft auch aus Gründen der mangelnden Energieverfügbarkeit noch nicht wieder die Leistung vor der Katastrophe erreicht hat und nicht absehbar ist, wie diese Leistungsfähigkeit kurzfristig wieder erreicht werden kann, ohne zumindest einen Teil der Atomkraftwerke wieder ans Netz zu bringen. Diese Situation wird sich im Sommer nochmals verschärfen, wenn in den Bürotürmen der Großstädte wie Tokyo der Energiebedarf durch eine Vielzahl von Klimaanlagen nochmals massiv steigen wird, wodurch weitere Produktionsengpässe vorhersehbar sind. Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe ist also, zumindest vorerst, noch längst nicht vorbei und fossile und regenerative Energien ergänzen sich so zu einem attraktiven Mix.

Japan kämpft aber mit weiteren massiven, strukturellen Problemen. Obwohl Japan zum "Ring of Fire" jener Kette von Vulkanen, die den Pazifik umschließen gehört, ist Japan im Vergleich zu anderen Staaten, die ebenfalls an diesem Rand der tektonischen Platte liegen, wie beispielsweise Chile oder Peru, relativ arm an Rohstoffen. Die Bevölkerung in Japan ist vergleichsweise alt, die Geburtenrate sehr niedrig und die Staatsverschuldung, gemessen am Brutto-Inlands-Produkt noch höher als in Griechenland. Dennoch genießen Japanische Staatsanleihen eine hohe Wertschätzung, so dass die Zinsen trotz der immensen Schuldenlast vergleichbar mit aktuell sehr niedrigen Zinsen in Deutschland sind. Dies macht die Staatsverschuldung und die Zinslast ein Stück weit beherrschbar.

Problematisch ist die Tatsache, dass die japanische Wirtschaft und damit verbunden auch der japanische Leitindex Nikkei in den 80er Jahren bei mehr als 40.000 Punkten ein Allzeit hoch markierten und seither deflationäre Tendenzen die Wirtschaft unter Druck setzen. Die Deflation behindert massiv den Abbau von Schulden und das Wirtschaftswachstum, was zu einer Abwärtsspirale geführt hat. Ist Japan jetzt verloren?

Die erfreuliche Antwort lautet: Nein! Denn zum einen verfügt Japan über eine der innovativsten und Leistungsstärksten Industrien weltweit. Nach Jahrhunderten der Feindschaft gibt es eine Annäherung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Japan und China und das Wachstum in China bringt auch neue Chancen für die japanische Wirtschaft, die ähnlich wie die deutsche Wirtschaft stark vom Export abhängig ist. Zudem sind Menschen immer dann besonders kreativ, wenn dies notwendig ist. Die Japaner sind Meister im Bau Erdbeben-sicherer Gebäude und gerade erst wurde in Tokio der welthöchste Fernsehturm eröffnet. Wahre Meisterleistungen stecken auch im Bau der U-Bahn in Tokio, der zeigt, dass man auch an einem der Erdbeben gefährdetsten Orte sichere Tunnel bauen kann. Diese Erkenntnisse können beispielsweise in der Bergbau-Industrie zur Erschließung neuer Untertagebau-Minen sehr wertvoll sein. Japan hat in seiner langen Geschichte schon einige schwarze Stunden erlebt, doch mit dem sprichwörtlichen Fleiß und hohem Innovationsgrad hat man diese Situationen stets gemeistert und neue Höchstleistungen erreicht.

Ihr Manuel Giesen