Kolumne von Thomas Rausch

Sommerschluss-Verkauf bei Gold

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

wie ist das nur möglich? Das muss eine massive Marktmanipulation sein! Die Euro-Krise eskaliert, Chinas Wirtschaft befindet sich vermutlich in einem hard landing, die Ukraine-Krise schwelt, der IS verbreitet seinen Schrecken im Nahen Osten und das Fed bemüht sich mit allen Mittel, die kommende Zinswende als geldpolitische Bagatelle zu verkaufen. Wann hatten wir zuletzt einen solchen Strauß an handfesten Unsicherheitsfaktoren? Doch Gold brach am Freitag auf ein 5-Jahrestief ein, um heute Morgen seinen Ausverkauf fortzusetzen. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, zumal notorische Goldbullen in letzter Zeit immer wieder charttechnische Goldsignale ausgemacht hatten. Stimmt das?

Ich gehöre zwar auch zu den hartnäckigen Goldbugs, aber Kaufsignale konnte ich keine erkennen. Im Gegenteil. Auf die mögliche Ausbildung einer großen Schulter-Kopf-Schulter-Formation verweise ich schon seit Wochen. Um den Einbruch zu erklären, bedarf es keiner Manipulations-Theorie.

Faktor 1: Der US-Dollar-Index generierte ein neues Kaufsignal. Dadurch wurde eine breite Konsolidierungsformation innerhalb eines steilen Aufwärtstrends beendet, so dass aus technischer Sicht mit einer Fortsetzung der Rallye bis deutlich über 100 Punkte zu rechnen ist. Diese Entwicklung wurde nicht nur bei den Future-Spekulanten bei Gold und Silber antizipiert, sondern löste bei allen Rohstoffen fallende Preise aus.

Faktor 2: Die Kapitalmarktzinsen preisen die Zinswende des Fed seit Februar ein. Der Aufwärtstrend ist intakt. Auch das spricht gegen die entsprechenden Goldkontrakte, aber natürlich nicht gegen physisches Gold. Doch da der Futuremarkt extrem stark gehebelt ist bzw. weil etwa 50mal mehr Papiergold als physisches Gold gehandelt wird, kommen die Angebots- und Nachfragefaktoren des physischen Metalls kaum zur Geltung.

Faktor 3: Es gibt scheinbar absolut keinen Grund sich Sorgen über irgendetwas zu machen. Jedenfalls dann nicht, wenn man als Händler vor seinem Terminal sitzt und die Zahlenkolonnen auf seinem Bildschirm für die Realität da draußen hält. Das Angstbarometer des S&P 500, der VIX, ist in den letzten Tagen so stark wie nie gefallen und bewegt sich auf extrem niedrigem Niveau. Kein Mensch sichert seine Aktienpositionen gegen Verluste ab. Alles läuft super. Warum also Goldkontrakte kaufen?

Wenn ich ein konventioneller Charttechniker wäre, würde ich jetzt vermutlich die Trends induktiv in die Zukunft extrapolieren, auf einen fallenden Goldpreis setzen und mir die Hände reiben. Da ich aber nicht nur Zahlenkolonnen und die Handlungsweise anderer Trader beobachte, sondern diese Faktoren in Beziehung zum Beispiel mit politischen und geldpolitischen Entwicklungen setze, wette ich antizyklisch auf einen steigenden Goldpreis, einen fallenden Dollar und eine einbrechende Börse. Ein klassischer Charttechniker würde mir entgegen halten, dass alle Informationen, die dem Markt zur Verfügung stehen, in den Preisen abgebildet sind. Mag sein. Aber ist das auch bei politischen Börsen so, bei denen sich die Realität durch ein einziges Wort im Nu verändern kann? Kündigen sich Crashs im Chart an?

Aktienmarkt im Tiefschlaf

Eine der größten akuten Gefahren für die Aktienmärkte ist vermutlich die Euro-Krise. Nur auf den ersten Blick scheint sich wieder einmal ein fauler Kompromiss mit Griechenland anzubahnen. Der Bundestag hat am Freitag die ESM-Verhandlungen mit dem Pleite-Staat beschlossen. Und wir wissen ja alle, was das bedeutet, oder?

Ich bin mir da nicht so sicher. Folgende Punkte finde ich bemerkenswert:

Frau Merkel erklärte am Freitag in der Bundestagsdebatte, ein Gexit sei nur möglich, wenn alle 19 Euro-Staaten dem zustimmen. Da das aber nicht der Fall ist, sei das Thema vom Tisch. Sie verwies darauf, dass Tsipras bereits wichtige Gesetze wie verabredet umgesetzt habe, also gäbe es Grund zu der Hoffnung, dass die ESM-Verhandlungen erfolgreich verlaufen. Im Grunde sei ein Erfolg alternativlos.

Doch obwohl Schäuble das Chicken-Game mit der griechischen Regierung gewonnen hat und Tsipras auf ganzer Linie einschwenkte, ließ der Finanzminister nicht locker. Am Donnerstag erklärte er, man wolle die ESM-Verhandlungen zwar aufnehmen, aber er sehe keine Chance, dass sie erfolgreich abgeschlossen werden können, denn: Griechenland brauche notwendig einen Schuldenschnitt. Das sage auch der IWF. Dieser sei aber im Euro nicht machbar. Am selben Tag schrieb Schäuble-Berater Clemens Fuest, akademischer Ziehsohn von Hans-Werner Sinn und dessen Nachfolger beim ifo-Institut, ein Hilfspaket für Griechenland sei der Übergang zu einer Transferunion. Wer die dauerhafte Schuldenvergemeinschaftung wolle, müssen einen entsprechenden Soli entrichten und sich ehrlich machen. Welcher Politiker will das schon! Als vernünftige Alternative betrachtet auch er den Grexit. Am Samstag legte er nach: "Die Regeln der Euro-Zone werden gebeugt".

Obwohl Schäuble die Kanzlerin, den Koalitionspartner SPD, fast ganz Europa und die USA gegen sich hat, und obwohl er Tsipras in die Knie gezwungen hat, hält er an seiner Position fest und spricht nach wie vor von einem Grexit. Ja, er droht der Kanzlerin sogar mit Rücktritt, wohl wissend, dass er der Held der Unionsparteien ist, in denen sich der öffentliche Widerstand gegen ein weiteres Hilfspaket deutlich vermehrt hat. Seine Drohungen sind massiv: Während des dramatischen Sonntags-Gipfels am 12.07., als Schäuble die Grexit-Karte ausspielte, appellierte das ZDF Heute Journal in ungewöhnlich schroffer Weise an Frau Merkel: "Die Kanzlerin muss ihr Ansehen riskieren. Denn wenn sie es nicht tut, riskiert sie nicht nur den Rücktritt eines Ministers (!) und die Stabilität ihrer Regierung (!), sondern, und das ist das Entscheidende: die Stabilität der gesamten europäischen Union, zu der Griechenland ohne Zweifel dauerhaft gehört (aber nicht zur Euro-Zone, Anm. der Red.)."

Schon hier wird der mögliche Rücktritt Schäubles und die Folgen auf ihre Regierung angedeutet.

Am letzten Samstag, einen Tag nach der Bundestagsdebatte, ergriff die Bild-Zeitung demonstrativ Partei für Schäuble und erklärte, warum er ein "großer Europäer" sei. "Euro-Rausschmiss für mehr Europa? Kann diese Sünde Liebe sein? Sie kann. Liebe zu Europa! Denn damit Europa funktioniert, damit die gemeinsamen Werte gewahrt bleiben, braucht Europa klare Regeln, nicht nur gefühlige Sonntagsreden. Davon ist Schäuble zutiefst überzeugt."

Schäuble wird die ESM-Verhandlungen führen, wenn die SPD es nicht – etwa durch ein Misstrauensvotum gegen Frau Merkel – zu verhindern weiß. Er wird sehr wahrscheinlich die Grexit-Karte spielen, um die Euro-Zone neu zu strukturieren und vor dem Übergang in die Transferunion zu bewahren. Frau Merkel wird das kaum verhindern können, ohne den Zusammenhalt ihrer Fraktion zu riskieren. Mit Recht wird der Finanzminister in den Verhandlungen darauf verweisen, dass die Steuererhöhungen in Griechenland, die notwendiger Teil des Programms sind, die griechische Wirtschaft dauerhaft in eine tiefe Depression führen werden. Und wenn er in den Verhandlungen, die er als letzten Versuch bezeichnet hat, tatsächlich auf Vertragstreue pochen wird, wird so mancher "Rettungsmechanismus", der nur durch Rechtsbeugung installiert werden konnte, in Frage gestellt. Selbst die ESM-Verhandlungen mit Griechenland widersprechen dem geltenden Recht. Ich weiß nicht, wie die Verhandlungen ausgehen werden. Aber ich vermute, sie werden sehr viel dramatischer verlaufen, als der Markt das im Moment annimmt.

Mit anderen Worten: Die Zeit für antizyklisches Handeln an den Märkten ist reif, weil die langjährige Vollkasko-Mentalität der Marktakteure jetzt vor einer harten Prüfung stehen könnte.

Viel Erfolg wünscht Ihnen

Ihr Thomas Rausch
Der BörsenExplorer

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.