Europas Rohstoffhunger zwingt Kiruna zu umfassender Umsiedlung
Mit Kiruna verlässt eine ganze Stadt ihren angestammten Ort. In Schwedens äußerstem Norden, rund 145 Kilometer nördlich des Polarkreises, wird die Kommune wegen Bergsenkungen um drei Kilometer nach Osten verlegt – Gebäude für Gebäude, Familie für Familie. Der Grund: die Ausweitung der unterirdischen Eisenerzmine des staatlichen Bergbauunternehmens LKAB.
Die Grube gilt als weltweit größte ihrer Art und ist zugleich das wirtschaftliche Herz der Region. Doch mit dem Wachstum kommen Risiken: Der Untergrund des alten Stadtkerns wird instabil, ganze Straßenzüge drohen langfristig abzusacken. Bereits seit 2004 wird der Umzug geplant. Der spektakulärste Moment kam im August 2025: Die 113 Jahre alte Kiruna-Kirche, ein Wahrzeichen der Stadt, wurde als Ganzes verlagert – über zwei Tage, auf Spezialtransportern.
Europas Mineralhunger trifft auf lokale Realitäten
Der Hintergrund ist größer als die Region selbst. Europas Strategie zur Rohstoffsicherung setzt auf heimische Vorkommen – insbesondere für die Energiewende. Erst Anfang 2023 meldete LKAB einen Fund, der als größte bekannte Lagerstätte Seltener Erden Europas gilt. Diese sind essenziell für Windräder, Elektroautos und Digitalisierung.
Das Problem: Die nötige Landfläche für den neuen Stadtkern fehlt vielerorts. Die Kommune muss Flächen vom schwedischen Staat kaufen, was zu Interessenskonflikten mit Naturschutz, Militär und den indigenen Samen führt. Deren traditionelle Rentierhaltung wird durch neue Siedlungs- und Industrieflächen zusätzlich erschwert.
"Wir leben von den Mineralien", sagt Mats Taaveniku, Vorsitzender des Gemeinderats in Kiruna, im Gespräch mit CNBC. "Jeder in Kiruna weiß, dass wir früher oder später umziehen müssen." Doch es gibt auch Unmut. Viele verlieren Häuser, die seit Generationen in Familienbesitz sind.
Milliardeninvestitionen für kompletten Neuanfang
LKAB ist für die Finanzierung des Umzugs zuständig und beziffert die Kosten allein für die nächsten zehn Jahre auf 22,5 Mrd. SEK (rund 2,4 Mrd. USD). Wer sein Heim aufgeben muss, erhält den Marktwert plus 25 % oder alternativ einen Neubau. Etwa 90 % entscheiden sich laut LKAB für ein neues Haus.
Niklas Johansson, zuständig für öffentliche Angelegenheiten bei LKAB, betont, dass der städtische Wandel auch als Chance gesehen werden könne – doch dafür brauche es mehr politische Rückendeckung: "Die Gemeinde und das Unternehmen brauchen Hilfe vom Staat und der EU – nicht nur schöne Worte."
Die Europäische Union hat die neuen Seltenen-Erden-Vorkommen in Kiruna bereits als strategisch wichtig anerkannt. Im Rahmen des Critical Raw Materials Act will die EU bis 2030 rund 40 % ihres Bedarfs selbst decken.
Kälte, Kultur und die Frage nach Identität
Doch der neue Standort bringt nicht nur bauliche Herausforderungen. Eine Studie der Universität Göteborg zeigt: In der neuen Stadtmitte können die Temperaturen im Winter bis zu 10 Grad Celsius niedriger liegen als im alten Kiruna. Grund ist die offene, schattenreiche Bauweise im Talbereich, in dem sich kalte Luft staut. Die ohnehin langen Winter könnten damit noch kälter und ungemütlicher werden.
Für die Menschen ist der Umzug mehr als ein logistischer Kraftakt. Es ist der Verlust von Vertrautem, von sozialem Gefüge, von Geschichte. "Einige sind traurig, weil sie Erinnerungen zurücklassen", sagt Taaveniku. Doch er betont auch: "Es ist unsere Realität. Ohne die Mine gäbe es Kiruna nicht."
Der Strukturwandel in Kiruna steht exemplarisch für eine ganze Branche im Umbruch. Auch kleinere Explorationsunternehmen wie Arctic Minerals AB SE0024172779 A411LJ leisten mit ihren Projekten in Nordeuropa einen Beitrag zur sicheren Versorgung Europas mit kritischen Metallen – oft abseits der öffentlichen Wahrnehmung, aber strategisch nicht weniger relevant.