Warum neue Rohstoffprojekte in Europa kaum realisiert werden
Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und der steigenden Nachfrage durch Energie- und Technologiewende haben zahlreiche westliche Staaten in den vergangenen Jahren weitreichende Maßnahmen ergriffen, um den Zugang zu kritischen Mineralien wie Lithium, Nickel, Kobalt und Seltenen Erden zu sichern. In den USA gilt dieser Zugang inzwischen als sicherheitspolitisches Kernanliegen. Auch in der Europäischen Union wurden Förderprogramme, neue Klassifikationen und internationale Allianzen auf den Weg gebracht. Dennoch kommt der Aufbau stabiler und nachhaltiger Rohstofflieferketten nur schleppend voran. Die Ursachen dafür liegen weniger in geopolitischen Hemmnissen als vielmehr in strukturellen und gesellschaftlichen Barrieren innerhalb der westlichen Demokratien.
Ein aktueller Bericht des Analyseportals Geopolitical Mining verweist auf eine tiefsitzende strukturelle Hemmung: Die Abhängigkeit von Importen, insbesondere aus China, das einen dominanten Anteil an der globalen Verarbeitung vieler kritischer Mineralien hält, ist zwar politisch erkannt. Die Reaktionen darauf – etwa durch erweiterte Rohstoffbedarfslisten, Förderprogramme oder neue Handelsabkommen – greifen jedoch häufig zu kurz. Solange neue Projekte im eigenen Land kaum realisierbar sind, bleibt die Abhängigkeit bestehen.
Komplexe Systeme lähmen Bergbau
Im Zentrum dieser Problematik steht ein komplexes Zusammenspiel aus institutioneller Trägheit, rechtlichen Vorgaben und gesellschaftlicher Skepsis. Geopolitical Mining beschreibt dieses Phänomen als eine "unsichtbare Blockade", die politische Strategien ins Leere laufen lasse. Während nationale Pläne eine verstärkte inländische Förderung vorsehen, scheitern viele Projekte bereits an lokal verankerten Genehmigungsverfahren. Unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche – Politik, Wirtschaft, Recht, Umwelt und Medien – arbeiten nach eigenen Logiken und finden kaum gemeinsame Lösungen. So entstehen systemische Widersprüche: Was volkswirtschaftlich notwendig wäre, wird lokal oder juristisch blockiert.
Dr. Jan Reuter, Industrieanalyst bei der Mineral Strategies GmbH, erklärte, politischer Wille allein genüge nicht. Ohne funktionierende Planungs- und Genehmigungsprozesse bleibe die Rohstoffpolitik ein Papiertiger. In Europa dauere es im Durchschnitt zehn bis fünfzehn Jahre, bis ein Bergbauvorhaben tatsächlich umgesetzt werde. Angesichts der weltweit steigenden Nachfrage sei ein solcher Zeitrahmen kaum noch vertretbar.
ESG-Kriterien hemmen Investitionen
Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität beim Thema Environmental, Social und Governance (ESG). Die Prinzipien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung sollen eigentlich verantwortungsvolle Investitionen fördern. In der Praxis wirken sie jedoch oft als Investitionsbremse. Viele ESG-Ratings konzentrieren sich stärker auf formale Berichtspflichten und Reputationsrisiken als auf tatsächliche Wirkung vor Ort. Das verschafft großen, etablierten Unternehmen mit ausgefeilten Berichtsstrukturen einen Vorteil gegenüber kleineren Akteuren, die sich auf kritische Rohstoffe spezialisiert haben.
Gleichzeitig fördert dieser Ansatz die Verlagerung von Umwelt- und Sozialrisiken in Länder mit schwächerer Regulierung. Während in westlichen Staaten negative lokale Auswirkungen möglichst vermieden werden sollen, gelten Projekte in Drittstaaten oft als akzeptabel – sofern sie formal ESG-konform eingestuft sind. Der eigentliche Abbau erfolgt damit vielfach in Regionen mit weniger institutioneller Kontrolle. Das untergräbt sowohl ökologische Ziele als auch das politische Ziel einer stärkeren strategischen Unabhängigkeit.
Bergbau fehlt in westlichen Zukunftsnarrativen
Ein weiteres Hindernis ist die gesellschaftliche Wahrnehmung des Bergbaus. Über Jahrzehnte hinweg haben sich Bilder von Umweltzerstörung, sozialen Konflikten und Arbeitskämpfen in das kollektive Bewusstsein eingeprägt. Auch wenn heutige Technologien deutlich höhere Standards ermöglichen, bleibt die öffentliche Akzeptanz gering. Der Sektor verfügt zwar über wirtschaftliche Bedeutung, es mangelt ihm jedoch an symbolischer Anerkennung und gesellschaftlicher Legitimation.
Im öffentlichen Diskurs dominieren positive Erzählungen über Hightech, digitale Innovationen und grüne Energie. Der Bergbau hingegen wird selten als Teil einer nachhaltigen Zukunft betrachtet. Dabei sind genau die dort geförderten Rohstoffe unverzichtbar für Batterien, Windkraftanlagen und moderne Halbleiter. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat im September 2025 betont, dass eine Energiewende ohne einen leistungsfähigen und gesellschaftlich akzeptierten Rohstoffsektor nicht gelingen könne. Neben der technischen Umsetzung sei insbesondere das Vertrauen der Bevölkerung entscheidend.
Neue Rohstoffpolitik braucht ein gesellschaftliches Ja
Für eine zukunftsfähige Rohstoffstrategie reicht es nicht aus, lediglich den Bedarf an Metallen wie Lithium oder Nickel zu benennen. Entscheidend ist, wie dieser Bedarf gedeckt werden kann. Dazu gehören effizientere, aber dennoch belastbare Genehmigungsverfahren, transparente Kosten-Nutzen-Abwägungen auf kommunaler Ebene sowie Beteiligungsprozesse, die den Dialog mit der Bevölkerung ernst nehmen. Nur dann kann sich das derzeit häufig anzutreffende pauschale Nein in ein konstruktives Ja unter klaren Bedingungen verwandeln.
Sollten strukturelle Reformen ausbleiben, könnte sich in den kommenden Jahren die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten bei zentralen Schlüsseltechnologien weiter verschärfen. Analysten warnen bereits, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit künftig maßgeblich über den gesicherten Zugang zu kritischen Rohstoffen definieren werde. Wer diesen Zugang nicht aktiv gestaltet, riskiert wirtschaftliche Einbußen ebenso wie politische Einflussverluste.
Daraus ergibt sich eine klare Konsequenz: Westliche Gesellschaften müssen lernen, auch Nutzungskonflikte im eigenen Raum anzunehmen und transparent zu gestalten. Nur ein Bergbau, der hohe Umweltstandards einhält, lokal eingebettet ist und gesellschaftlich mitgetragen wird, kann das Fundament für eine nachhaltige technologische Transformation bilden. Bleibt dieser Wandel aus, stützt sich die grüne Zukunft weiterhin auf Rohstoffe, deren Herkunft und soziale Folgen bewusst ausgeblendet werden. In diesem Fall steht auch die Energiewende auf einem instabilen Fundament.

