Kolumne von Thomas Rausch

Letztes Gefecht

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

die Lage an den Finanzmärkten ist sehr ernst. Zwar tendiert der S&P 500 noch in der Nähe seiner Allzeithöchststände, so, als gäbe es nichts Böses auf der Welt. Doch ein näherer Blick auf die Fakten hinter den extrem hohen Aktienkurses lässt vermuten, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

"Die Deutsche Bank braucht keine Staatshilfe"

Wenn man dem Chef der Deutschen Bank, John Cryan, glauben dürfte, dann verfügt die gefährlichste Bank der Welt, so der IWF, über "weitaus weniger Risiken in den Büchern als früher" und ist "komfortabel mit freier Liquidität ausgestattet". Und obwohl der Aktienkurs zweitweise historische Tiefstände erreicht hat, sei die Lage der Bank sehr viel besser als vom Markt angenommen.

Einige Hedgefonds sehen das offenbar anders und reduzieren ihre Geschäfte mit Deutschlands größter Bank. Die Ausfallversicherungen für Anleihen der Bank schießen wieder in die Höhe. Die Beteuerung der Bundesregierung, keine Staatshilfe für das angeschlagene Bankhaus vorzubereiten, weil dafür kein Anlass bestehe, unterstreicht den Ernst der Lage. Aber die Deutsche Bank ist kein Einzelfall. Der Euro Stoxx 600 Banks zeigt, dass die gesamte Branche akut unter Druck steht.

"Negativzinsen sind gut für Sparer"

Obwohl die EZB die Märkte seit Monaten mit Geld, das sie aus dem Nichts schafft, überflutet und immer neue Maßnahmen angekündigt hat, meldet sich die Finanzmarktkrise zurück. Doch Draghi zeigte sich in dieser Woche im Bundestag zufrieden mit seinen Maßnahmen. Die Nullzinspolitik sei im Interesse der Sparer. Sein atemberaubendes Argument lautet: Je niedriger der Zins, desto mehr Kredite würden vergeben und desto stabiler laufe die Wirtschaft. Dank der Interventionen der EZB sei eine "Große Depression" verhindert worden. "Es liegt also in unser aller Interesse, auch dem der deutschen Sparer, ein möglichst starkes nachhaltiges Wachstum in Deutschland und im Euroraum zu erzielen." Im Übrigen seinen niedrige Zinsen die Voraussetzung für später steigende Zinsen.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, erklärt eindringlich, was von diesen armseligen Argumenten Draghis zu halten ist:

"Die existenzielle Krise des Währungsraums wird an der Erosion der politischen Mitte deutlich. Der Brexit zeigt, dass dies zur Spaltung führen kann. Die Unzufriedenheit wurzelt in der Not der Arbeitslosen und in den stagnierenden Einkommen – ähnlich der Krise der 30er-Jahre. Daher muss man fragen, inwieweit die extrem aggressive, unkonventionelle und völlig unerprobte Geldpolitik der EZB – bis hin zu negativen Zinsen – zur Verschärfung der Probleme Europas beiträgt. Noch nie war eine Region so abhängig von dogmatischen Entscheidungen nicht direkt gewählter Technokraten. Wollen wir wirklich das Scheitern des wichtigsten wirtschaftspolitischen Projekts der Geschichte riskieren? Zukünftige Generationen würden uns das naive Vertrauen in die Geldpolitik nicht verzeihen."

Und Otmar Issing, der ehemalige EZB-Chefökonom, legt nach:

"Zu glauben, dass eine Notenbank mit einer solchen Macht noch unabhängig sein kann, ist naiv." Die EZB habe den Fehler begangen, im Mai 2010 nicht die Reißleine gezogen zu haben, als sie in die Euro-Krise als einer der wichtigsten Spieler hineingezogen worden sei. "Niemand ist immun gegen die Versuchung, immer bedeutender zu werden. Doch der Preis ist hoch.”

"Die US-Wirtschaft läuft überraschend gut"

Das erklärte Janett Yellen vor zwei Tagen bei einer Anhörung im US-Kongress. Mit jedem Monat seien die Argumente für einen weiteren Zinsschritt stärker geworden. Doch angehoben hat das Fed den Zins noch immer nicht. Man wolle noch weitere Daten abwarten. Charles Plosser, Fed-Mitglied von 2006 bis 2015, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: Warten – worauf? "Das ist ein Rätsel. Bei jedem der vergangenen Treffen wurden andere Gründe zitiert. Es hiess nur noch, man warte auf mehr Daten. Doch das ist keine Begründung. Auf mehr Daten warten kann man immer. So betreibt man keine Geldpolitik."

Das Fed weiß, dass es den Zins weiter anheben muss, um Luft aus der Kreditblase zu lassen. Es weiß auch, dass es damit die Aktienmärkte zum Absturz bringen wird. Deshalb wartet es mit dem Zinsschritt aus politischen Gründen bis nach den US-Wahlen. Das sieht der Markt genauso. Ein Blick auf den Fed Fund Future der CME zeigt: die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt am 02. November, kurz vor den Wahlen am 8.11., liegt bei nur 8 Prozent, für Dezember aber bereits bei über 50 Prozent.

Und jetzt kommt die Gretchenfrage, die sich jeder Fonds- und Risikomanager stellt: Wenn das Fed bewusst einen Crash in Kauf nimmt, gleichzeitig aber immer wieder beton, im Zweifelsfall den Markt zum Beispiel über QE5, Negativzinsen, Helikoptergeld und Aktienkäufe zu retten (siehe die heutige Reutersmeldung: "Fed-Chefin – Ankauf von Aktien und Bonds könnte bei Abschwung helfen"), wie stelle ich mich dann mit meinem Portfolio auf? Setze ich auf einen Crash oder auf eine Rallye. Und wie werden meine Konkurrenten sich positionieren? Mit anderen Worten: Die Double-Bind-Strategie, "wir wollen eine Normalisierung der Geldpolitik" auf der einen Seite, und "wir werden einen Crash nicht zulassen" auf der anderen kann zu ungeahnten Verwerfungen an den Märkten führen, die selbst das Fed überraschen werden. Der alte Glaube, dass die Notenbanken allmächtig sind, könnte in die Erkenntnis umschlagen, dass der Kaiser tatsächlich nackt ist.

"Wir kontrollieren jetzt die Zinskurve"

Die Märkte trauen den Notenbanken immer noch sehr viel zu. Aber der letzte Coup der Bank of Japan, die als Avantgarde der globalen Geldpolitik berüchtigt ist, hat zu größeren Irritationen geführt. Der Notenbankchef Kuroda erklärte, er wolle zukünftig die Zinskurve präzise kontrollieren. Damit beschreitet die japanische Notenbank wieder einmal geldpolitisches Neuland. Warum das? Die EZB kontrolliert die Zinsen am kurzen und langen Ende doch auch. Der Unterschied ist, dass die EZB die langfristigen Zinsen durch ein Anleihekaufprogramm steuert, dessen Begrenzung sie vorgegeben hat. 80 Mrd. Euro pro Monat, verteilt auf die Länder der Euro-Zone nach einem festen Schlüssel, begrenzt auf eine bestimmte Zeit. Mit diesen Marken versucht sie den Rest des Marktes, den es noch gibt, zu steuern. Glaubt der Markt, dass diese Summe zum Beispiel für Spanien oder Portugal oder Italien nicht reichen wird, reagiert er mit Zinserhöhungen bzw. mit einem Aufschlag der Risikoprämie und testet damit die EZB, ob sie ihre Interventionen anpasst oder nicht. Entsprechend der Einschätzungen des Marktes hinsichtlich politsicher Unsicherheiten oder der wirtschaftlichen Entwicklung usw. bewegen sich die Renditen der Euro-Länder demnach in bestimmten Bändern. Diese Volatilität will die Bank of Japan ausschalten. Sie will den Zins aller Laufzeiten bis zu 10 Jahren präzise festschreiben. Damit hat sie die letzte Stufe der Planwirtschaft erreicht, denn die präzise Kontrolle der Zinskurve bedeutet, dass der Rest des Marktes – immerhin der größte Anleihemarkt der Welt – komplett ausgeschalte wird. Egal, von welchen Szenarien die Anleger ausgehen, egal, was auch immer passiert: Die Bank of Japan bestimmt den Zins.

Tatsächlich ist die Zinskurve in Japan extrem flach. Selbst die Zinsen für 10-Jährige Staatsanleihen sind negativ. Weil langfristige Negativzinsen schlecht für die Wirtschaft sind, sollen die Renditen am langen Ende – so die japanische Notenbank – auf über 0 Prozent steigen. Was sagt der Markt dazu? Man sollte meinen, dass das Machtwort der Notenbank dafür sorgt, dass die Renditen der 10-Jährigen auf 0 Prozent oder darüber steigen. Tatsächlich sind sie weiterhin negativ.

Und man sollte meinen, dass der Aktienmarkt über die nicht enden wollende Kreativität der Notenbank in Jubel ausbricht. Doch der Nikkei ist ziemlich unbeeindruckt. Es kann durchaus sein, dass die Notenbankerei tatsächlich an ihre Grenzen gestoßen ist.

So profitieren Sie vom kommenden Crash

Gestern habe ich mit meinem Tradingdepot den DAX rechtzeitig nach der Eröffnung der Wall Street geshortet bzw. auf fallende Kurse gesetzt. Ich habe nämlich den Eindruck, dass sich im Dow Jones eine breite Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS-Formation) vollendet hat, die zwar Anfang September zu einem Einbruch des Aktienmarktes geführt hat, der aber durch mehrfache Test der Unterseite der Nackenlinie zunächst zum Stillstand gekommen ist. Solange der Dow Jones die Nackenlinie nicht überwinden kann, ist die SKS-Formation noch aktiv. Deutlich fallende Kurse können die Folge sein. In diesem Szenario dürfte der ohnehin angeschlagene DAX besonders stark einbrechen.

Auf der anderen Seite denke ich, das Gold im Falle eines Ausbruchs von Panik am Aktienmarkt seine Rallye fortsetzen wird; trotz potentiell steigender Zinsen und trotz möglicherweise steigendem US-Dollar-Index. Mich würde es nicht wundern, wenn Gold bis zum Ende des Jahres auf US$1.500 anzieht. In diesem Fall dürfte der HUI seine Korrektur abschließen und zu neuen Jahreshöchstständen streben.

Viel Erfolg wünscht Ihnen

Ihr Thomas Rausch

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.